Ganz nah am konkreten Detail – Geschichtsunterricht als Gerichtsverhandlung


Am Geschichts-Fachtag der Q1s am 20.06. haben sich die Schülerinnen und Schüler einem komplexen Problem gestellt: Wie kann nach Verbrechen gegen die Menschlichkeit Gerechtigkeit geübt oder sogar wiederhergestellt werden?

Konkret ging es um den Fall des Hans Hermann Griem, der in der KZ-Außenstelle Ladelund tätig gewesen war. Dort waren im November und Dezember 1944 über 2000 Häftlinge aus ganz Europa interniert, um entlang der deutsch-dänischen Grenze Panzergräben auszuheben. Durch die unmenschlichen, katastrophalen Bedingungen der Unterbringung, der Arbeit und der Behandlung durch die Wachmannschaften starben in den sechs Wochen des KZ-Betriebs 300 Menschen. Heute arbeitet die KZ-Gedenkstätte Ladelund dieses Kapitel der Geschichte eindrucksvoll auf.

Hans Hermann Griem, der von 1943 bis 1945 verschiedene Konzentrationslager der Nationalsozialisten leitete, war auch für die KZ-Außenstelle Ladelund verantwortlich. Ihm wurden nach dem Zweiten Weltkrieg viele Verbrechen bis zur Beihilfe zum Mord und Mord selbst zur Last gelegt, vor einer Urteilsverkündung starb er allerdings.

Dieser „offene Ausgang“ des historischen Gerichtsverfahrens machte den Fall Griem für Malte Grutschnigg von der Landeszentrale für politische Bildung und Dr. Hauke Petersen, den Stellvertreter des Landesbeauftragten für politische Bildung und ehemaligen Goethe-Schüler, interessant und für den Einsatz in der Schule geeignet. So entwickelten beide ein Rollenspiel der Gerichtsverhandlung, das sie zum ersten Mal überhaupt bei uns an der Goethe-Schule mit der Klasse Q1s erprobten. Unterstützt wurden sie dabei von der Leiterin der KZ-Gedenkstätte Ladelund, Frau Dr. Happe, die beobachtete und sogar spontan die Rolle einer Sachverständigen im Rollenspiel übernahm.

Die Schülerinnen und Schüler nahmen Rollen wie Vorsitz, Richteramt, Staatsanwaltschaft, Verteidigung, Schöffen und Sachverständigenrat ein und erarbeiteten sich zunächst Informationen zu ihrer Rolle, vor allem aber zum historischen Fall. So kamen sie in Kontakt zu historischen Quellen zum Fall Griem, teilweise schwer zu ertragen, aber vor allem anschaulich und informativ. Auf diese Weise kamen zu dem bislang vorhandenen Wissen über die NS-Verbrechen Informationen zu einem konkreten Fall, der die Hirne beschäftigte und die Herzen aufregte und so Geschichte lebendig machte. Das zeigte sich in der intensiven Erarbeitungsphase, in der die Klasse deutlich schneller war, als von den Veranstaltern gedacht.

Dass dennoch gründlich gearbeitet worden war, zeigte die Gerichtsverhandlung selbst, in der Schülerinnen und Schüler aller Rollen nicht nur sehr kenntnisreich, sondern auch engagiert und nachdenklich argumentierten. Es wurde allen deutlich, wie schwierig ein ordentliches Gerichtsverfahren angesichts solcher Verbrechen und einer aus historischen Gründen eher komplizierten Beweislage durchzuführen ist. So wurden intensiv Argumente getauscht und der Fall recht tief durchdrungen. Das zeigten die Plädoyers und das abschließende, differenzierte und sehr begründete Urteil. Zudem sah das Rollenspiel mit der Presse eine weitere historisch wichtige Ebene, die des zeitgenössischen Umgangs mit der NS-Schuld, vor.

Dass das Rollenspiel die Schülerinnen und Schüler nicht nur stark bewegte und motivierte, sondern auch über die Anschaulichkeit des Einzelfalls das Wissen zum NS-Lagerwesen vertiefte und auch noch stärker im emotionalen Bereich wirkte, zeigte die von beiden Seiten gründlich und reflektiert durchgeführte Auswertungsrunde. Unsere Gäste nahmen neben einzelnen Ideen zur Anpassung des Rollenspiels vor allem großes Lob und vielen Dank für die Ausgestaltung und Durchführung dieser Unterrichtseinheit mit. Dieses Lob gaben sie ausdrücklich der Klasse zurück, so dass diese Erprobung des Rollenspiels von beiden Seiten als voller Erfolg gewertet wurde. Insofern bedanken wir uns sehr bei den Veranstaltern, dass sie eine so gewinnbringende Bereicherung des Geschichtsunterrichts ermöglicht haben.

Bec

Links zum Thema:

KZ-Gedenkstätte Ladelund: https://kz-gedenkstaette-ladelund.de
Landesbeauftragter für politische Bildung: https://www.politische-bildung.sh



Informationen zum Thema


Geschichte an der Goethe-Schule Flensburg

Der Geschichtsunterricht vermittelt die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich mit den in der Gesellschaft vorhandenen geschichtlichen Elementen, Strukturen und Abläufen auseinanderzusetzen und im Prozess der Auseinandersetzung ein selbständiges, historisches Urteilsvermögen zu entwickeln.

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